Last place of refuge

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LAST PLACE OF REFUGE

Entlegene Regionen, am besten fernab der Zivilisation oder einfach nur die eigenen vier Wände, galten lange als die letzten Zufluchtsorte, in denen man gesellschaftlichen Zwängen und Normen entkommen konnte, um nur für sich zu sein. Heute sendet die Smartwatch Biodaten über unser gesundheitliches Befinden und körperliche Aktivitäten selbst von diesen Orten aus.

Wir leben heute in einer Welt, in der unsere E-Mails mitgelesen werden und Bezahlsysteme die Daten unserer Kaufgewohnheiten sammeln. Die daraus generierten Persönlichkeitsprofile machen uns zu gläsernen Menschen. Schritt für Schritt tauschen wir persönliche Freiheit gegen Optimierung, Beschleunigung und Sicherheit ein. In der digitalisierten Welt von Morgen scheint es keinen wirklichen Rückzugsort mehr zu geben, solange man sich der Technik nicht komplett verwehrt.

Bis zuletzt galten zumindest die Gedanken – das menschliche Charakteristikum schlechthin – als letztes freiheitliches Gut. Doch fehlt nur noch ein kleiner technologischer Schritt, um auch diese transparent zu machen. Schon vor einigen Jahren hat der Executive Chairman von Google/Alphabet Inc. Eric Schmidt gesagt: „Wir wissen, wo du bist. Wir wissen, wo du warst. Wir wissen mehr oder weniger, worüber du nachdenkst.“

Während des Festivals Unter Beobachtung. Kunst des Rückzugs vom 25.09. - 18.10 meditierte der Künstler Daniel Beerstecher für sein Projekt täglich ca. 6 Stunden und versuchte seine Gedanken so weit zu beruhigen, dass er einen Zustand der Gedankenlosigkeit erreicht. Was von Mystiker*innen und Spirituellen vieler Religionen in der Meditation als der Ort der Gottverbundenheit oder als die mystische Erfahrung der Erleuchtung bezeichnet wird, bekommt heute eine weitere Dimension. In einer komplett digitalisierten Welt scheint es, dass die innere Einkehr, das Stoppen des Denkens, die absolute Stille der Gedankenlosigkeit, der vielleicht letzte wirkliche Zufluchtsort unserer Zeit ist. Ein Refugium zu dem theoretisch jeder Mensch einen freien Zugang hat.

Die Performance ‘Last Place of Refuge’ wurde von mehreren Kameras überwacht und die Bilder live in die Sozialen Medien übertragen. Auf einer Projektwebseite ist ein Archiv angelegt, in welchem alle Bilder gespeichert wurden und sich die Performance auf ihre Konsequenz und Stringenz überprüfen lässt. Das Speichern und Archivieren weisen dabei auf die ständige unsichtbare Überwachung hin, der Mensch bereits unterliegt.

Das World Wide Web inklusive der Sozialen Medien fungiert dabei als permanente und unbegrenzte Ausstellungsstätte des kontinuierlichen künstlerischen Ergebnisses. Die Visualisierungen sind auf dieser Projektwebseite sowie auf der Festival-Webseite der Kulturregion HIER. Der Künstler kann bei seiner Performance während des gesamten Festivals täglich im Akku-Projektraum, dem Ausstellungsraum des Künstlerbund-Baden-Württembergs, besucht werden. Die Besucher konnten die Stille des Raumes und der Performance genießen oder selbst mitmeditieren.
Darüber hinaus wurde das Projekt zusätzlich mit einer partizipativen Komponente für Besucher vor Ort erweitert. Der Künstler gab jeweils am Abend nach seiner Performance eine Stunde lang eine geführte Anleitung zur Entschleunigung. Die Teilnehmer konnten dabei lernen ihre Gedanken so weit zu reduzieren, dass sie zumindest eine Vorstellung von der angestrebten inneren Ruhe und Gedankenlosigkeit bekommen konnten.

Mit diesem Projekt knüpft der Künstler an sein vergangenes Projekt Walk in Time an - den ersten Slow Walk Marathon der Kunst. Auf einer Distanz von 42,195 km bewegte er sich so langsam vorwärts, dass er gerade einmal 120 Meter in der Stunde zurückgelegt hat. Insgesamt 6 Stunden pro Tag, 10 Wochen lang überwachte er sich selbst im meditativen Gehen. Die Entschleunigung nutzte er als künstlerische Praxis: Ein Versuch sich der Zeit und der gesellschaftlichen Tendenz zur Beschleunigung zu entziehen. Seine Daten und sein Walk wurden live in die sozialen Medien sowie in mehreren Museen gestreamt.

Infos dazu unter:
www.walk-in-time.de
Ein SWR Beitrag zum Projekt finden HIER

Vita

Daniel Beerstecher, geboren 1979 in Schwäbisch Hall, lebt und arbeitet in Stuttgart, Rio de Janeiro und auf Reisen. Von 2003-2010 studierte Beerstecher an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Er erhielt für seine künstlerische Arbeit zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen und stellte seine Werke international in renommierten Institutionen aus, dazu gehören unter anderem Einzelausstellungen in São Paulo, Göppingen, Rio de Janeiro, Karlsruhe, Stuttgart und Berlin sowie die Teilnahmen an Gruppenausstellungen im Istanbul Modern, Istanbul; die B3 Biennale of the Moving Image, Frankfurt und die Montevideo Biennale 500 Years of Future. Installationen, internationale Reise- und Video-Performances, wo Daniel Beerstecher auf ein zufälliges Publikum trifft, charakterisieren sein künstlerisches Schaffen. Die Kunst wird dabei aus den konventionellen Räumen entnommen und entsteht im öffentlichen Raum im Prozess. Dabei ist der Kontakt zum Menschen ein entscheidender Bestandteil seiner Arbeit. Das Ziel dabei ist, neue Interpretationsräume zu erschaffen und in gewissem Sinne auch die „Weltordnung“ auf die Probe zu stellen.

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Podcasts

Ein ausführliches Künstlergespräch mit Daniel Beerstecher im Podcast „Art Companion” von Benjamin Thaler über seinen künstlerischen Werdegang finden Sie hier: Reisen als Kunst.

Ein spannendes Künstlergespräch mit Daniel Beerstecher im Podcast „Art Companion” von Benjamin Thaler über die Performance Walk in Time finden Sie hier: Gehe an deine Grenzen!

Team

Projektassistenz:
Anna Okupski
Tabea Schulz

Programmierung der Webseite:
Alex Kern

Grafik der Webseite:
Marina Gärtner, it’s mee

Besonderen Dank an:

Flavia Mattar
Greta Garle
Familie Beerstecher

Fotos:

Leah Girardin (Portrait)

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